Die Entwicklung des Porsche 911 – Droge auf Rädern

Porsche 356 in Gmünd

Eine künftige Sportwagenikone? Nichts deutete 1963 auf solch eine Karriere hin, als der Porsche 911 vorgestellt wurde. Denn seine Entwicklung war eine Kette teils haarsträubender Technikpannen. Jetzt hatte die achte Generation Premiere. Ein Blick in den Rückspiegel.

Der BMW 507 gefiel

Der Aristokrat war stinksauer. Im Juli 1957 lieferte Albrecht Graf Goertz bei Porsche in Zuffenhausen auftragsgemäß seinen Entwurf für einen rassigen Erben des Porsche 356 ab. Eine 1:1-Vision aus Tonerde zum Anfassen. Zu dem Auftrag kam Goertz, weil ein Auto mit seiner Handschrift 1955 auf der Internationalen Automobilausstellung in Frankfurt für weltweites Aufsehen sorgte, das auch Porschechef Ferry Porsche sehr gefallen hat: Der BMW 507, eine Sportwagen-Schönheit von außergewöhnlicher Eleganz.

BMW 507
Das Design des BMW 507 gefiel den damaligen Verantwortlichen gut.

Zu rassig, zu italiensich

Goertz, ein freiberuflicher deutsch-amerikanischer Designer und damals 43 Jahre alt, arbeitete acht Monate an dem Porsche-Projekt und reiste deswegen immer wieder von seinem Studio in New York ins Schwäbische. Doch es nutzte nichts. Sein Entwurf wurde abgelehnt. Zu rassig, zu viel italienischer Chic, zu wenig optische Verwandtschaft zum 356. Beleidigt flog er wieder nach Hause und grollte. So ist es überliefert.

Es wäre eine Revolution gewesen

Goertz’ Entwurf hätte eine Revolution bedeutet. Auf Geheiß des Porsche-Chefs sollte es nämlich ein Viersitzer, aber kein Viertürer werden. Grund: Die 356er-Kunden hatten öfters moniert, dass in das enge Sportcoupé keine Familie reinpasse. Genauso chancenlos wie der Entwurf von Goertz war auch der viersitzige Blech-Prototyp in Originalgröße aus der firmeneigenen Entwicklungsabteilung. Wie überhaupt der Gedanke an zwei zusätzliche Plätze bald wieder verworfen wurde. Irgendwie wirkten alle Entwürfe eines schicken Coupés mit vier Sitzen und optischer Verwandtschaft zum 356 zu aufgeblasen.

Die Technik war steinalt

Damals suchten die Ingenieure in Zuffenhausen fieberhaft nach einem trag-fähigen Autokonzept, das die Zukunft des Unternehmens sichern konnte. Denn der Typ 356 war bereits zwölf Jahre in den Varianten Coupé, Cabriolet und Roadster auf dem Markt, dessen technische Basis vom VW Käfer stammte. Das hatte zwar den Vorteil, dass es sich um ausgereifte Technik handelte, die kaum Ärger machte. Doch sie war eben auch steinalt. Zugleich bedeutete eine Neukonstruktion technisches Neuland an Motor, Fahrwerk und Karosserie. Und damit waren unzählige Macken programmiert. Zum Beispiel sollte in dem künftigen Heilsbringer ein Sechszylinderboxer für mächtigen Vortrieb sorgen. Kein aufgemotzter und ratternder Vierzylinder-boxer mehr wie im 356, ein Herz, das ursprünglich im Käfer schlug.

Bittere und kuriose Pannen

So kam es im Laufe der Entstehungsphase zu gleichermaßen bitteren wie teils kuriosen Pannen des längst zur Ikone gereiften Sportwagens, von dem im Mai 2017 das einmillionste Exemplar in Zuffenhausen vom Band gelaufen ist. Diese bis heute weithin unbekannten Zwischenfälle hielten die Ingenieure penibel in Aktennotizen fest.

Beispielsweise in dem Dokument vom 12. November 1962. Auf dem Verteiler des zweiseitigen Papiers stehen sieben Namen, an die es gerichtet ist. Ganz oben „Herrn Porsche“ und „Herrn Porsche Junior“. Gemeint sind Firmenchef Ferry Porsche und dessen Sohn Ferdinand Alexander Porsche, der Designer. Fahrversuchsleiter Helmut Bott beschreibt darin den Verlauf der „ersten Probefahrt mit dem Prototyp“ drei Tage zuvor. Bott hatte eklatante technische Mängel entdeckt. Er kritisierte, dass der Wagen zu giftig auf Lenkkorrekturen reagiert und das Heck ausbricht, dass die Vorderachse falsch eingestellt ist, dass die Bremse schnell schlappmacht und dass das Getriebe heult. Notiert wurde auch, dass Türen wie Fenster klappern, das Fahrzeug insgesamt zu laut ist, dass die Scheiben stark beschlagen und die Heizung stinkt.

Bei der 356er-Gemeinde formte sich Widerstand

Die Arbeit an dem neuen Auto verlief zwar geheim. Doch irgendwo muss es eine undichte Stelle gegeben haben. Denn die überwiegend männliche Besitzergemeinde des Ur-Porsche bekam vom Plan der Erneuerung Wind. Rasch formierte sich weltweiter Widerstand. Eine Protestbriefwelle ergoss sich in die Porsche-Zentrale. Die Kerle, mindestens so knorrig wie ihr Sportwagen, wollten nicht, dass in dem kommenden Porsche irgendetwas leichter zu bedienen ist. Etwa das Kupplungspedal, das bis dato eine trainierte linke Wade verlangte. Oder das Getriebe, das eine gleichermaßen sensible wie geübte rechte Hand erforderte, um die Gangwechsel ohne Wehgeschrei der Zahnräder zu vollziehen. Und überhaupt das giftige Fahrwerk, dessen Neigung zum Ausbrechen natürlich nur von jenen Männern gemeistert werden konnte, die das Abgas des 356er gleichsam als Odem inhalierten.

Der Kurs lautete Konfrontation

Ferry Porsche ließ sich nicht beirren, ging auf Konfrontation zu der gusseisernen Kundschaft und fertigte einen engen Zeitplan für den kommenden neuen Porsche an. Nur knapp ein Jahr nach dem Verfassen der besagten Aktennotiz sollte das Automobil Mitte September 1963 auf der Internationalen Automobil-Ausstellung in Frankfurt (IAA) Weltpremiere feiern. Das war mit einem Ausstellungsstück ohne Technik zu schaffen. Der Plan sah aber auch vor, den Wagen kurz vor der Messe in Serie gehen zu lassen. Doch angesichts der zahlreichen Pannen war schnell klar, dass der Termin der angepeilten Markteinführung auf keinen Fall zu halten war. Nicht nur wegen rein mechanischer Probleme, vor allem auch, weil Erwin Komenda, der Chef der Karosserieentwicklung, mit der Ablieferung der präzisen Baupläne der Blechform an das Karosseriewerk Reutter enorm in Verzug war – um fünf Monate.

Ein Jahrhundertwurf?

Ein Auto, das alsbald Kurs auf den Olymp der Auto-götter nehmen und zugleich Mythos, Meilenstein und Männertraum werden würde? Nichts hatte zu dem Zeitpunkt Anlass zu solchen Träumereien ge-geben. Obendrein war die Finanzdecke des Unternehmens Ende der 50er-Jahre dünn. Etwa 15 Millionen Mark für die Entwicklung des Autos mussten reichen, das zu Anfang noch 901 hieß und später in 911 umbenannt worden ist, um Ärger mit dem französischen Autobauer Peugeot aus dem Weg zu gehen. Die Typenbezeichnung der Peugeots bestand schon damals aus einer dreistellige Zahl mit einer Null in der Mitte.

Der Umsatz passte – der Gewinn noch nicht

1961 überschritt Porsche die Umsatzmarke von 100 Millionen Mark, verdiente jedoch am Verkauf des alten Typs 356 wenig. Zu hoch waren die Kosten der Rohkarosserien, die aufwendig in einem Stück gefertigt wurden und die jeweils mit etwa 5000 Mark zu Buche schlugen, bei einem durchschnittlichen Verkaufspreis des Wagens von nur etwa 16 000 Mark. So kam es Mitte der 50er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts zu den Überlegungen, einen technisch besseren Nachfolger zu konstruieren, mit dem sich auch mehr Geld verdienen lassen sollte.

Porsche Juniors Entwurf brachte die Wende

Schlussendlich traute sich Ferry Porsche doch nicht, den 356 durch einen familienfreundlichen Viersitzer zu ersetzen. Warum, ist nicht mehr zu klären. Vielleicht lag es am außerordentlichen Chic des Entwurfs seines Sohnes Ferdinand Alexander Porsche, der damals in der väterlichen Firma arbeitete. Diese Linie, die sich letztlich durchgesetzt hat und die bis heute an jedem neuen 911 zu finden ist, galt bereits früh als genialer Wurf. Porsche fertigte vom Neuen 13 Prototypen, über die pingelig Protokoll geführt worden ist. Sie dienten unterschiedlichen Zwecken und bekamen neben durchlaufenden Nummern meist auch Spitznamen. So steht es in dem Buch „Wurzeln einer Legende – Porsche 901″. Sie hießen Sturmvogel, Blaumeise, Fledermaus, Zitronenfalter, Quickblau oder Barbarossa.

Der Sturmvogel kam in den Windkanal

Mit Sturmvogel zum Beispiel wurden anfangs vor allem Windkanalversuche gemacht, später dann Brems- und Vergasertests. Fledermaus und Blaumeise hingegen ächzten bei Fahrwerksprüfungen. Neben der Dauer der Versuche, den Ereignissen währenddessen oder nötig gewordenen Umbauten wurde auch der Benzinverbrauch notiert: 14,3 bis 14,5 Liter auf 100 Kilometer. Ebenfalls vermerkt ist, was mit den Prototypen geschah. Fast alle führte die letzte Fahrt in die Schrottpresse. Nur Nummer 6, Spitzname Quickblau, nicht. In den Aufzeichnungen steht: „Privat gekauft von Ferdinand Piëch (September 1965)“. Der Neffe von Firmenchef Ferry Porsche arbeitete ab 1. April 1963 als Diplomingenieur im Rennmotorenversuch des Familienunternehmens.

Nummer 5: Weltpremiere mit Attrappe

Prototyp Nummer 5, der ohne weitere Bezeichnung blieb, kam die Rolle zu, in der Öffentlichkeit zu glänzen. Im Transporter ging er zwischen September und November 1963 auf die Reise zu den Autoausstellungen nach Frankfurt, Paris, London und Turin. Im Winter kehrte Nummer 5 heim – vor allem, um endlich einen Motor zu bekommen. Denn wer damals auf den Autoshows den Motordeckel öffnete, um sich an dem angeblich 130 PS starken Sechszylinder zu erbauen, blickte auf eine Attrappe. Der geplante Boxermotor, je drei flach liegende Zylinder links und rechts, taugte nichts. Helmut Bott ur-teilte nach einer Probefahrt vor der IAA-Premiere: „Das können wir vergessen.“ Die Gemischaufbereitung machte Probleme, er war viel zu laut und er hatte obendrein Zündaussetzer. Ein neuer Boxer musste konstruiert und angefertigt werden. Das kostete Zeit, deshalb die Attrappe.

Serientauglich? Auch mit dem echten Motor nicht wirklich

Doch auch das Aggregat, das schließlich in Nummer 5 eingebaut worden ist, war weit weg von der Serientauglichkeit. In dem Buch „Porsche 911“ berichtet Autor Tobias Aichele davon, dass „weder die Graugusszylinder ausgereift waren noch folgende Komponenten erprobt: Ölpumpe, hydraulische Kettenspanner, die Verschraubung des Zylinderkopfs, Schwungrad, Auslassventile, Ventilfedern und Ölkühler“. Kein Wunder, dass der zitronengelbe Prototyp im Laufe einer mehrmonatigen Promotionstour zu Porschehändlern in Europa von etlichen Defekten heimgesucht wurde. Dieter Lenz, damals Verkäufer bei Porsche und derjenige, der die Nummer 5 auf der Werbetour steuerte, zog nach genau 46.987 zurückgelegten Kilometern ein bitteres Fazit. Er klagte über eine unbefriedigende Bremse, Poltern auf Kopfsteinpflaster, über Windgeräusche durch undichte Fensterrahmen und auch darüber, dass sich Straßenunebenheiten auf die Lenkung übertrugen. Ferner brannten mehrfach Kolben durch. Auf dem Europatrip stellte sich auch heraus, dass die Halterung der Stoßdämpfer zu schwach war, weswegen stärkende Blechteile eingeschweißt werden mussten. Der vordere linke Torsionsstab brach, der die Stöße von der Straße aufzunehmen hatte, die Tachowelle stellte ihren Dienst ein und die Türverkleidungen lösten sich genau so wie der Dachhimmel.

Durchtreten bis aufs Bodenblech

Lenz bestätigte damit Erkenntnisse von Fahrversuchsleiter Helmut Bott, der in einer weiteren Aktennotiz festhielt, dass das Bremspedal bei einer Vollbremsung aus Höchstgeschwindigkeit bis zum Bodenblech durchgetreten werden muss und dass die Bremse stark qualmte und stank. Der Leerlauf schwankte und die Motorvibrationen übertrugen sich auf den ganzen Wagen. Das Schlimmste aber war die Lenkung. Bott notierte, dass sie im Verlauf der Testfahrt derart schwergängig wurde, dass deswegen „die Probefahrt unterbrochen werden musste, weil das Fahrzeug nicht mehr betriebssicher war“.

Er hält die Spur nicht

Spurstabil war es offenbar auch nicht. Lenz beschrieb in seinem Protokoll, dass sich das Fahrerverhalten erst mit einer 50-Kilo-Zuladung im Gepäckraum unter der Fronthaube verbesserte. Auch ein stets gut gefüllter Tank würde der Stabilität zuträglich sein. Einmal drehte sich Lenz mit seinem Dienst-911 auf einer Autobahnausfahrt bei München. Die Sache verlief zwar ohne Schaden, Lenz konnte sich den Dreher aber nicht erklären. Er stieg aus und entdeckte eine Benzinspur auf der Piste. Wie sich herausstellte, war über die Tankentlüftung beständig Sprit direkt vors linke Hinterrad getropft. Solange es geradeaus ging, bestand keine Schleudergefahr. In der Kurve der Autobahnausfahrt jedoch ist der Wagen auf dem eigenen Benzin ausgerutscht. Die von Lenz informierte Versuchsabteilung hielt eine technische Lösung für unnötig. Sie empfahl stattdessen lapidar: „Das Problem ist längst bekannt, Du darfst eben nicht so voll tanken.“

Verspäteter Serienanlauf mit langer Mängelliste

Wenige Wochen vor dem ohnehin um ein Jahr verspäteten Serienanlauf am 14. September 1964 schließlich, zu einem Zeitpunkt, an dem alle Mängel eigentlich längst hätten ausgemerzt sein sollen, meldeten sich auch noch die Montagearbeiter mit einer langen Liste von Beanstandungen. Sie monierten mit Datum vom 8. Juli: „Tankeinbau schlecht, Versteifungsblech muss umgebördelt werden; Dichtung zwischen Tank und Karosse zu dick; Abdeckungsblech für Vorderachse streift an Lenkungsdämpfer, Gasgestänge streift am Handbremsrohr; Anschlag für Gaspedal zu tief; Wischeranlage ist schlecht zu montieren; Lenkschlosseinbau nicht möglich, ohne die Karosse einzubeulen.“

Bananenware

Angesichts der beinahe endlosen Mängelreihe ist es fast ein Wunder, dass der Wagen für Käufer wie für die Firma schließlich doch noch zum Glücksbringer wurde. Zumal man den Eindruck haben konnte, dass das Auto nach dem Bananenprinzip reifen würde – beim Kunden. Der Firma füllt der 911 noch immer die Kasse und rettete sie mehr als einmal vor der Pleite. Das umgekehrte Szenario gab es allerdings auch. Weil das Management phasenweise zu stark auf dieses Modell setzte, galt der 911 vorübergehend als Firmenkiller und war sogar von der Einstellung bedroht.

Seit einem halben Jahrhundert verehrt

Würde sich heute das Gerücht über ein nahes Ende des 911 verbreiten, gäbe es vermutlich ähnlich wütende Protestaktionen weltweit wie einst bei der Ablösung des 356. Damals lehnten die Machos den 911 als zu weiblich ab. Inzwischen geben vermehrt Frauen in dem Porsche Gas. Nicht zuletzt auch, weil moderne Automatikgetriebe sehr sportlich sind und ein gestähltes Kupplungsbein überflüssig ist. Auch wenn der 911 nicht mehr das meist verkaufte Modell im Porsche-Programm ist, so wird der Oldie nach mehr als einem halben Jahrhundert gefühlt schon ewig als Blechgott angebetet. Und bereits Mitte der 90er-Jahre brachte ein Werbespruch die innige Beziehung zu dem Auto auf den Punkt: „Seit über 100 Jahren machen Autos unabhängig. Eines macht abhängig.“ Die Junkies werden das bestätigen. (amp-net/hk)

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