Porsche 911 Carrera: Ausnahme wird Regel

Die radikale Neujustierung des Antriebskonzepts. Diese Innovation wird Puristen genau so zetern lassen, wie 1997 die Umstellung vom luft- auf einen wassergekühlten Boxermotor. Aus Porsche-Sicht ist die Neuerung des Porsche 911 Carrera aber ebenso nötig wie konsequent. Der Hubraum – zuletzt 3,8 Liter – musste runter, um den Verbrauch zu senken, gleichzeitig durfte sich die Leistung aber nicht verringern, also wird per Turbo nachgeladen. Und das künftig bei jedem 911er. Was früher die Ausnahme war, wird jetzt zur Regel.

1a1ap4Wie ernst es der Zuffenhausener Sportwagen-Schmiede damit ist, zeigt auch die Tatsache, dass gleich zehn Varianten auf einmal den Abschiedskanon vom Saugmotor erklingen lassen. Analog zu den vorangegangenen Generationen wird es den neuen 3,0-Liter-Turbo-Elfer als Carrera Coupé mit und ohne „S“, mit Heck- und Allradantrieb sowie als Cabriolet und Targa geben. Die 309 kW/420 PS starken Allrad-Versionen vom Carrera Cabriolet und vom Targa markieren das obere Ende der Preisskala.

1a1ap2Die große Renovierung der Porsche-Ikone beschränkt sich allerdings nicht auf die Installierung eines Turboladers je Zylinderbank. Bedingt durch veränderten Frischluft- und Kühlbedarf veränderte der 911er auch sein Äußeres. Größere Lufteinlässe vorn sowie große senkrechte Lamellen auf der Motorklappe hinten sorgen für eine zuverlässige Versorgung mit dem leistungsfördernden Sauerstoff.

1a1ap3Da die meisten Verkehrsteilnehmer den neuen Elfer vermutlich von hinten sehen werden, können sie dort weitere Unterscheidungsmerkmale zum Vorgänger ausmachen. Nicht nur die Struktur des Lüftungsgitters verrät ihn, auch kleine, rechteckige Auslassöffnungen links und recht an der Heckschürze künden vom Novum. Da sich die Verbrennungsluft beim Verdichten erheblich erwärmt, muss sie durch zwei zusätzliche Ladeluftkühler wieder abgekühlt werden.
Die Lader arbeiten mit einem Betriebsdruck von nur 1,1 bar, versetzen das Boxer-Triebwerk aber in die Lage, schon ab 1.700 Umdrehungen das maximale Drehmoment von 450 Newtonmetern zu mobilisieren. Die 420 PS starke S-Version bringt es sogar auf 500 Newtonmeter.

1a1ap5Die akustische Begleitung der Fahrerlebnisse ist einerseits mit dem Gasfuß, andererseits mit dem Portemonnaie dosierbar. Unterhalb von 3.000 Umdrehungen ist der Carrara ein zurückhaltender Begleiter, der dezent sein Klangrepertoire kontrolliert und erst auf ausdrücklichen Wunsch des Fahrers oder der Fahrerin seine Stimme erhebt. Tempozuwachs und Schallpegel bilden dabei ein abgestimmtes Duett, ohne jedoch emotional mitzureißen.

1a1ap7Wer auf mehr Würze in seinem Klangmenü Appetit verspürt, wird wohl nicht darum herum kommen, sich einen Carrera S nebst kostenpflichtiger Sportabgasanlage zuzulegen. Von Hause aus ist der 37 kW/50 PS stärkere S mit einem vierflutigen Auspuffsystem ausgerüstet, ein geänderter Schalldämpfer sowie die zentral verlegten Endrohre entfachten im Fahrtest eine Soundkulisse, die Performance und Erwartungen eher gerecht wird.
Obwohl den Carrera vom S nur zehn Kilogramm Leergewicht und 0,3 Sekunden im Sprint trennen, ist der subjektiv empfundene Charakterunterschied viel größer. Hart und zupackend das 420-PS-Coupé, geschmeidig und verbindlich der schwächere Bruder. Für beide gilt, das der Entertainmentaspekt der Reise per Knopfdruck optional intensiviert werden kann. Der „Response“-Schalter am Lenkrad ist neu und veranlasst im PDK-Getriebe das Zurückschalten um zwei oder drei Schaltstufen, so dass maximaler Schub zum Beispiel zum Überholen verfügbar ist.

1a1ap6In der Summe ist die Porsche-Ikone – und das wird Fans und Kunden gleichermaßen beruhigend – trotz aller Modifikationen das geblieben, was sie ohne Standard-Turbo schon war: Ehrlich und geradeheraus, spontan, herzhaft, unverfälscht und erstaunlich leicht zu handhaben. Aber eben auch sehr kostspielig.
afb/amp