Porsche Cayenne GTS/Turbo S

In der schneeverwöhnten Provinz Nordschwedens musste der Jüngste der Porsche-Geländewagenfamilie zeigen, was er kann. Wenn es eine Erkenntnis aus der Fahrpräsentation von GTS und dessen stärkeren Bruder Turbo S gibt, dann diese: Der öffentliche Straßenverkehr ist kaum geeignet, das Potenzial der beiden spaßbringend auszuleben.

Das „Prinzip 911“ findet auch in der Geländewagen-Abteilung von Porsche konsequente Anwendung. Mit stets neuen Derivaten des Ur-Modells wird die Angebotspalette gespreizt. Hier ein paar PS mehr, dort eine straffere Fahrwerksabstimmung und ein zusätzlicher Buchstabe am Heck – so wird gleichzeitig die Nachfrage geschürt und das Bedürfnis von Kunden nach ihrem speziellen Porsche zufrieden gestellt. Inzwischen kann die Kundschaft zwischen acht Varianten des hochbeinigen Kombi- und Gelände-Pkw wählen.

Und das Prinzip funktioniert: Weltweit wurden mehr als 600.000 Cayennes verkauft, in China so viele, dass man Porsche dort für eine Geländewagen-Marke hält. Die aktuelle Version verlässt sich auf einen doppelt aufgeladenen V6-Ottomotor, was jedoch nur geringfügig Gewicht gegenüber dem vormaligen Achtzylinder einspart, denn Turboräder und Gehäuse, Krümmer und Ladeluftkühler wiegen schließlich auch etwas. Dafür wirft das Aggregat 440 PS aus. In der Kunst, die einzelnen Modelle feinfühlig zu differenzieren und die Kennzahlen präzise abzustufen, geht kein Hersteller mit solcher Musikalität vor wie Porsche: Der GTS mobilisiert 600 Newtonmeter Drehmoment und damit mehr Durchzugskraft als der Standard-Diesel, jedoch weniger als der Turbo. 262 km/h Endgeschwindigkeit rücken ihn auf Rang drei der SUV-Bestenliste aus Stuttgart.

Der Reiz des GTS, so verspricht Porsche, liege aber nicht so sehr in schnellem Geradeausfahren, sondern eher in der Querdynamik, die mit gazellenhafter Leichtigkeit ein Grinsen ins Gesicht des Fahrers oder der Fahrerin zaubern soll. Nun mag der Gazellen-Vergleich angesichts eines 2.110 Kilogramm wiegenden Fünftürers gewagt erscheinen, doch das subjektive Fahrerlebnis ist tatsächlich erstaunlich leichtfüßig. Mit großer Spontaneität wird nämlich die Gashebelbewegung in Vortrieb umgesetzt, nur der Cayenne S braucht noch weniger Drehzahl, um den vollen Schub bereit zu stellen. Dafür hält der GTS sein Drehmoment-Maximum länger, und zwar bis 5.000 Touren.

Auf einem schneebedeckten Handling-Kurs sind die speziellen Qualitäten von jedermann erfahrbar. Eine leichtgängige, sehr präzise Lenkung vermittelt das Gefühl, die Fuhre jederzeit im Griff zu haben. Der Cayennne Turbo S hingegen, der nicht nur insgesamt mehr wiegt, sondern auch prozentual mehr Gewicht auf der Vorderachse hat, fordert aktiveres Eingreifen und lässt zudem geringere Rückstellkräfte im Volant wirken. Die schiere Kraft des 570 PS starken Topmodells scheint nach ständiger aufmerksamer Kontrolle zu gieren, soll sie sich nicht verselbständigen. Wo der GTS noch sensibel reagiert und die ersten zarten Versuche des Querfahrens auf Eis und Schnee mit wohlwollendem Wedeln der Heckpartie quittiert, mahnt der Turbo S zur Selbstzucht, denn nur zu leicht können mit nervösem Gasfuß zu viele Pferdchen auf einmal vom Zügel gelassen werden. In dem Fall bedarf es eines gewissen Könnens und fundierter Erfahrung, den Drift wieder einzufangen und in eine kontrollierte Gleitbewegung übergehen zu lassen. Zurückhaltung zu üben muss keine Minderung von Fahrfreude bedeuten. Der bullige Anzug des Turbo S von 800 Newtonmetern Drehmoment vermag ebenso zu begeistern wie der fette Sound aus vier Endrohren, die für beide Neu-Wagen die Begleitmelodie zum PS-Spektakel orchestrieren. Auch vorne bedarf es eines geschulten Auges, denn die aggressive Front ist nahezu identisch gestaltet. Lediglich hinter den Scheinwerfergläsern sind Unterschiede auszumachen, denn der Spitzen-Cayenne wird ab Werk mit LED-Hauptscheinwerfern ausgeliefert.

Zuverlässige Identifikationsmerkmale des GTS sind der schwarze Alcantara-Himmel im Innenraum und die abgedunkelten Felgen. Schaut man hinter die Leichtmetall-Räder, liegt der Fall jedoch klar. Mit enormem Platzbedarf präsentieren sich am Topmodell die 10-Kolben-Bremssättel, die als Neuerung gegenüber dem Vorgänger Eingang in die Produktion fanden. Sie stellen sicher, dass die immense kinetische Energie, die ein mit 200 km/h dahin preschender Cayenne freisetzt, nachhaltig und sicher verzögert werden kann. Maßgebend für die Verstärkung der Bremsleistung waren außer den nun möglichen 284 km/h Top-Tempo und dem Sprintvermögen von wenig mehr als vier Sekunden von null auf 100 km/h auch das stattliche Kampfgewicht von 2.235 Kilogramm. Die Beläge beißen auf 420 Millimeter große Scheiben aus Keramik-Verbundwerkstoff, die alle anderen Cayenne-Käufer extra bezahlen müssen, der Turbo S hat sie in Serie.

Zwar mangelt es sicher nicht an solventen Autofahrern, die sich gerne einen Turbo S in die Garage oder vors Jagdhaus stellen würden. Jedoch gebricht es einem Geländegänger, der selbst unter idealen Bedingungen nicht weniger als 11.5 Liter Superplus je 100 Kilometer zu sich nimmt, bisweilen an sozialer Akzeptanz und aus Sicht vieler an Political Correctness. Mit so viel Schmackes über die Piste gescheucht, dass die Eiskristalle nur so spritzen, sind es selten weniger als 20 Liter. Folgerichtig erzeugt der Turbo S die heftigste Nachfrage in China, den USA, dem Mittleren Osten und Russland. Genügsamer ist da schon der GTS, der mit 9.8 bis zehn Liter über den Prüfstand fährt und im wirklichen Leben ohne Spaßverlust mit 12 bis 14 Litern zu bewegen ist. Im Unterschied zum Turbo S, dem vorsichtshalber ein 100 Liter-Tank den Aktionsradius sichert, muss sich der Lenker des GTS mit einem 85 Liter großen Kraftstoffbehälter bescheiden. Wohl jeder, der Autofahren nach Möglichkeit als ein lustvolles Wechselspiel physikalischer Kräfte zelebriert, dürfte nach wenigen Schneerunden den dringenden Wunsch nach Besitz so eines Cayenne verspüren.

Axel F. Busse/amp

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