Schwäbische Supersportler

Porsche feiert. 2015 steht der 30. Geburtstag des 959 an. Der 1985 vorgestellte „Über-Elfer“ begründete damals die Klasse der Supersportwagen. Der allradgetriebene Superlativ vereinte bei seinem Debüt alle Gene, die die Sportwagen und Rennfahrzeuge der Marke bis dahin geprägt hatten. Freilich war der 959 nicht der erste Sportwagen aus dem Stuttgarter Industrie-Vorort Zuffenhausen, der die Trennschärfe zwischen Straße und Rennkurs ignorierte.

Schon der 904 lotete 1963 den Gen-Pool der Marke voll aus. Das Erbe von 904 und 959 lebte zwischen 2003 und 2006 im Carrera GT fort und findet den aktuellen Höhepunkt im 918 Spyder. Über fünf Jahrzehnte reicht also die Spanne der Supersportler von Porsche. Zu ihrer Zeit repräsentierten die Fahrzeuge nicht nur technische Avantgarde, sondern auch den jeweiligen Zeitgeist. 1963 stellten die Schwaben den 904 offiziell als Carrera GTS vor. Eigentlich als reines Rennfahrzeug für Sportwagenweltmeisterschaft entwickelt, mahnte die von der FIA geforderte Homologationsserie von 100 Einheiten auch eine kommerzielle Auswertung an. Somit musste die Konstruktion auch die Anforderungen der Straßenverkehrsordnung erfüllen.

In den frühen Sechziger definierte sich die Marke in der Serie wie im Sport durch Leichtbau und den Vier-Zylinder-Boxermotor, den Ferdinand Porsche in seinen Grundzügen vor dem Zweiten Weltkrieg für den Volkswagen entwickelt hatte. Der Carrera GTS wog je nach Ausführung lediglich zwischen 570 und 650 Kilo, war 4.1 Meter lang und duckte sich auf gerade einmal 1.07 Meter Höhe. Der Karosseriebau ging ganz neue Wege. Auf einem preiswert zu produzierenden Kastenrahmen aus Stahlprofilen verklebten und verschraubten die Entwickler eine Karosserie aus glasfaserverstärktem Polyesterharz. Eine Lösung, die nicht nur leicht, sondern auch besonders steif war.

Erstmals bei einem straßentauglichen Fahrzeug überhaupt, war der Vierzylinder in Mittelmotorbauweise angeordnet. Für die Serie mobilisierte der Zweiliter 155 PS. Für den Renneinsatz 180 PS. Mit Fünf-Gang-Getriebe und Sperrdifferential beschleunigte die Straßenversion aus dem Stand in 5.6 Sekunden auf Tempo 100 und erreichte unglaubliche 255 km/h Höchstgeschwindigkeit. Der 1965 in der Sportwagen-WM eingesetzte Zweiliter-Sechs-Zylinder brachte es auf 210 PS. Mit einem 2.2-Liter-Achtzlinder waren beim 904/8 sogar 270 PS drin. 1964 und 1965 dominierte der 904 die Zweiliter-Klasse der Sportwagen WM ebenso wie die Deutsche Rennsportmeisterschaft.

Was haben Boris Becker, Bill Gates und Herbert von Karajan gemeinsam? Sie erlagen Mitte der Achtziger dem Hype um den Porsche 959. Ein fahrbares Superlativ, der erste wahre Supersportwagen der Geschichte. Porsche stellte mit dem 959 auf Basis der 911 das schnellste Serienfahrzeug seiner Zeit auf die Räder und packte alles hinein, was das Unternehmen in den ersten 35 Jahren seiner Geschichte an technologischer Erfahrung gesammelt hatte: Biturbo-Motor, Allradantrieb, Karosserie in Mischbauweise aus aramidverstärktem Kunststoff, Aluminium und Polycarbonat, 17-Zoll-Räder mit Reifendrucksensoren. Der Boxer mit 2.85 Liter Hubraum, wassergekühlten Köpfen und vier obenliegenden Nockenwellen produzierte eine unglaubliche Literleistung von 158 PS, gesamt 450 PS – genug, um aus dem Stand in 3.7 Sekunden Tempo 100 und 317 km/h gemessene Höchstgeschwindigkeit zu erzielen.

Der 959 war ursprünglich für die Rallye gedacht und gewann 1984 prompt die Paris Dakar. Wie beim 904 forderte das Reglement eine Homologationsserie von 200 Einheiten. Die Zahl der gebauten Exemplare löst Streit bei den Gelehrten aus. Porsche kommuniziert 292, die bis 1988 entstanden. Darunter 29 in einer 1350 Kilo schweren Leichtversion.

Trotz 420 000 Mark Grundpreis musste Porsche die Autos verteilen, weil Spekulanten den Preis unter der Hand bis über eine Million trieben. Ermuntert von dem 959-Hype kopierte Ferrari das Konzept des Supersportlers erfolgreich beim F40 ab 1988. Jaguar brachte 1992 schließlich den XJ 220, der 275 Einheiten nur erreichte, weil Interessenten bei der Bestellung 50.000 Pfund (rund 120.000 Mark) hinterlegen mussten, für den Endpreis von 413.000 Pfund. Es geht die Mär, dass mancher Interessent lieber die 50.000 Pfund abschrieb, als sich das unausgewogene Endprodukt mit schwierigen Fahreigenschaften und katastrophaler Verarbeitung ans Bein zu binden.

Am Anfang des Porsche Carrera GT von 2003 stand ebenfalls ein Rennsportprojekt. Der V10 mit 5.7 Liter Hubraum war ursprünglich für ein LeMans-Projekt entstanden, der Einsatz des Sportprototypen schließlich verworfen. Für die Serie kombinierten die Entwickler das Triebwerk mit 612 PS Leistung mit dem ersten Kohlefaser-Monocoque im Serienbau. Die Karosserie bestand aus dem gleichen Material. Somit beamte sich der 1380-Kilo-Zweisitzer aus dem Stand in 9.9 Sekunden auf Tempo 200 und erreichte 334 km/h Höchstgeschwindigkeit. Porsche gibt die Zahl der in Leipzig jeweils in 175 Stunden Handarbeit gefertigten Fahrzeuge mit 1282 an, die mindestens 452.400 Euro kosteten.

Mit dem 918 Spyder schließt sich vorerst der Kreis der Supersportler von Porsche. Im wahrsten Sinn des Wortes, denn am 15. Juni 2015 war die Fertigung der 918 Einheiten zum Grundpreis von 768.026 Euro abgeschlossen. Zwischen dem Vorstandsbeschluss der Serienfertigung am 28. Juli 2010 und der Präsentation 2013 entstand wiederum ein Fahrzeug voller Superlative und allem technischen Knowhow, was die Schwaben bis dahin gesammelt hatten.

Als Antrieb diente erstmals nicht ein solitärer Otto-Motor, sondern eine Kombination aus Verbrenner, E-Motoren und 5.1-kW-Lithiumionen-Akku für eine Plug-in-Einheit mit 25 Kilometer rein elektrischen Betrieb. Der V8 mit 4.6 Liter Hubraum liefert 450 kW/608 PS, der E-Motor an der Vorderachs 95 kW/129 PS, der zweite an der Hinterachse 115 kW/156 PS. Das summiert sich zur Systemleistung von 652 kW/887 PS.

Das Potential des 918 Spider dokumentieren weniger die 2.6 Sekunden für den Sprint aus dem Stand auf Tempo 100, noch die 345 km/h Höchstgeschwindigkeit. Am 4. September 2013 brannte der jüngste „Über-Porsche“ auf der Nordschleife des Nürburgrings eine Zeit von 6:57 Minuten in den Asphalt. Neun Jahre zuvor hatte der Carrera GT die Rekordmarke für Serienfahrzeuge mit 7:32,44 Minuten gesetzt. Noch ist vollkommen ungeklärt in welcher Form und in welchem Umfang Porsche seinen gesamten Gen-Pool beim nächsten Supersportler ausschöpft. Fest steht, das namenlose Projekt setzt in einem Punkt die Tradition von 904, 959, Carrera GT und 918 Spyder fort: die Darstellung des technisch Machbaren bei einem Automobil. Zwischen Straße und Piste.

tl/amp

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