Youngtimer/Oldtimer boomen – Ein Stück Kindheit

Youngtimer/Oldtimer boomen – Ein Stück Kindheit. Seit Jahren liegen Old- und Youngtimer hoch im Kurs. Die Preisen stiegen nicht selten in gigantische Höhen. Doch wieso verlieben wir uns so sehnsüchtig in automobile Klassiker? Die Oldtimermesse Techno Classica in Essen empfängt kommende Woche Fans aus der ganzen Welt.

Ford Taunus 17M aus 1959

Wer die großen Gebrauchtwagenbörsen, Klassikportale und Oldtimermagazine auf der Suche nach einem betagten Zuwachs für die eigene Garage durchforstet, der hat seit langem kaum etwas zu lachen. Müde Youngtimer, für die sich vor Jahren kaum jemand ernsthaft interessierte, tragen mittlerweile stattliche Preisschilder am Innenspiegel. Wer wollte ehemals schon einen noch so gut erhaltenen Ford Granada, einen klapprigen Renault R4 oder gar einen Simca Matra Rancho fahren? Doch die Zeiten haben sich gewandelt – und wie! Die gigantische Nachfrage an Youngtimern und jungen Oldtimern hat viele Gründe, die nicht zuletzt in unserer eigenen Kindheit liegen.

Toyota Celica

Zum einen befinden wir uns seit Jahren in einer ausgemachten Niedrigzinsphase. Geld bringt auf der Bank keinerlei Zinsen und der zugegeben stabile Aktienmarkt zeigt sich mitunter volatiler als erhofft. Ist die eigene Wohnung oder das eigene Haus bereits bezahlt, wissen viele – auf höchst unterschiedlichen Niveaus – mit ihrem Finanzbestand nichts Rechtes anzufangen. Alles Geld in Urlaube, Kleidung oder die Luxusuhr am Handgelenk stecken, ist nicht für alle zufriedenstellend und nach wie vor tragen Autos – gerade bei Männern – eine große Begehrlichkeit in sich. Zum einen kann man mit einem klassischen Automobil die eigene Jugend ein Stück zurückholen und bewegt zumeist das Auto, das der eigene Vater oder Onkel fuhr – oder sich damals eben nicht meisten konnte. Wer hat zu Kindertagen nicht davon geträumt, dass das eigene Familienoberhaupt mit einer Mercedes S-Klasse, einem 5er BMW oder gar einem Porsche 911 von der Arbeit nach Hause kam? Die automobile Realität sah zumeist ganz anders aus.

Ford Granada Generation I

Heute kann man sich die automobilen Wunschträume, oftmals Quartettspielen, Fernsehserien und Urlauben entsprungen, ohne große Probleme leisten. Das Geld ist verfügbar, gut angelegt und zudem hat man für seinen schnöden Mammon einen nennenswerten Gegenwert und den seelenlos geleasten Dienstwagen kann man am Wochenende getrost in der Einfahrt stehen lassen, während es wie einst Sascha Hehn in der Schwarzwaldklinik mit dem offenen VW Golf I Cabrio auf große Sonnentour geht. Doch der Wunsch, ein fahrendes Stück der eigenen Kindheit zurück in den grauen Autoalltag zu holen, ist neben der finanziellen Machbarkeit nicht der einzige Grund für die gigantische Nachfrage nach kunterbunten Modellen aus den 70er, 80er und frühen 90er Jahren.

Jeep Grand Wagoneer 1991

Klassiker für den Alltag

Technisch sind viele dieser Autos so gut, dass sich diese auch im Alltag – als sogenannte daily driver – nutzen lassen ohne große Einschränkungen einzugehen oder Angst haben zu müssen, an der nächsten Kreuzung liegen zu bleiben und zu spät zum wichtigen Termin zu kommen. Die Technik der Fahrzeuge ist abgesehen von einigen Modellen aus zumeist französischer oder italienischer Produktion ausgereift und so werden selbst längere Fahrten nicht zwangsläufig zu einem Abenteuer am Steuer. Daneben sind die heutigen Fahrzeuge für viele ihrer Kunden nahezu beliebig austauschbar. Audi A4 Avant, VW Golf TDI oder ein Renault Scenic – alles geleast und ein treuer Begleiter für den Alltag.

Jaguar E-Type
historischer Land Rover

Nach zwei oder drei Jahren wird er gegen den Nachfolger ausgetauscht und selbst der eigene Partner merkt es ohne einen Farbwechsel nicht so recht. Die neuen Assistenzsysteme, Hightech-Scheinwerfer oder ein perfektes Zusammenspiel zwischen Verbrenner und Elektromotor bei einem Hybriden machen das Ganze allenfalls für Teckyfans spannend. Älteren Fahrzeugen wird dabei nicht nur ihr unverwechselbares Design, der Duft der Ledersitze oder heute weitgehend unbekannte Ausstattungsdetails ein besonderer Charme zugesprochen, das ein aktuelles Modell niemals bieten kann. Die ein oder andere Schwäche von Fahrwerk, Antrieb oder Bedienung wird da nur allzu gerne verziehen.

So überrascht es nicht, dass viele Traumwagen von einst auch Traummobile im Jahre 2018 sind und die Erwachsenen von heute zumindest kurzzeitig hinter dem Steuer wieder zu Kindern werden. Denn nicht nur das Fahren oder die gegebenenfalls selbst durchgeführte Wartung und Instandhaltung eines Klassikers macht Spaß. Oftmals ist es das Jagen, das die größte Spannung weckt. Am Sonntagmorgen beim Frühstück sitzend die Klassikmagazine zu durchforsten oder abends im Bett nach einem noch so langen Arbeitstag den Onlineportalen einen kurzen Besuch abzustatten, um sich einen Scheunenfund nach Hause zu holen, ist für viele längst gelebter Alltag und eine Begierde, die vor Jahren noch unvorstellbar erschien.

Porsche 944 Turbo „Weltenbummler“

Längst planen einige sogar den Sommerurlaub um den Kauf eines Klassikers herum und besuchen die britische Insel, Kalifornien oder das sonnenverwöhnte Südfrankreich auf der Suche nach Entspannung in Liege und einem historischen Autositz in Flockvelours.

sg/ap